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Cochrane-Review untersucht wissenschaftliche Evidenz
Freiheitsentziehende Maßnahmen im Pflegeheim reduzieren

Organisationsbezogene Interventionen können den Einsatz von freiheitsentziehenden Maßnahmen in Pflegeheimen reduzieren, ohne das Sturzrisiko zu erhöhen, so das Hauptergebnis eines aktuellen Cochrane Reviews. Für andere Interventionen, fand der Review dagegen keine überzeugenden Belege. Erstautor ist Prof. Dr. Ralph Möhler, Centre for Health and Society (chs).

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Die Ergebnisse des aktuellen Cochrane-Reviews zeigen, dass freiheitsentziehende Maßnahme in Pflegeheimen reduziert werden können, ohne dass die Zahl der Stürze oder sturzbedingten Verletzungen ansteigt. Schulungen des Personals reichen alleine vermutlich nicht aus, eine entscheidende Rolle spiele die Unterstützung der Leitungskräfte, sagt Erstautor Ralph Möhler (chs).

Maßnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit wie Bettgitter oder Gurtfixierungen werden in Pflegeheimen regelmäßig eingesetzt. Solche freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) sind ethisch problematisch, weil sie meist bei Menschen mit demenziellen Erkrankungen eingesetzt werden, die dem Einsatz von FEM nicht selbst zustimmen können. Gerechtfertigt wird der Einsatz von FEM meist mit dem Schutz vor Stürzen und damit einhergehenden Verletzungen. Allerdings ist der Nutzen von FEM nur gering und steht zahlreichen negativen Folgen einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit gegenüber. Diese kann sich ungünstig auf die körperliche Verfassung und Beweglichkeit auswirken und damit das Risiko für Stürze und letztlich den Pflegebedarf sogar erhöhen. Die Maßnahmen können außerdem Ängste oder aggressives Verhalten auslösen oder verstärken. Daher wird in Leitlinien und von Expertinnen und Experten die Vermeidung von FEM in der Pflege empfohlen.

Doch wie lässt sich das in der Praxis umsetzen? Ein erstmals 2011 veröffentlichter und nun auf den aktuellen Stand der Forschung gebrachter Cochrane Review analysiert die wissenschaftliche Evidenz zu Maßnahmen und Strategien, die den Einsatz von FEM vermeiden oder reduzieren sollen. Das Team von Autorinnen und Autoren um Prof. Dr. Ralph Möhler, Centre for Health and Society (chs), Universitätsklinikum Düsseldorf, konnte elf relevante Studien mit insgesamt 19.003 Teilnehmenden identifizieren, die unterschiedliche Interventionen untersucht haben.

Die beste Evidenz fand das Autorenteam in seiner Auswertung für sogenannte organisationsbezogene Interventionen, die in insgesamt vier Studien mit 17.954 Teilnehmenden untersucht wurden. Organisationsbezogene Interventionen zur Vermeidung von FEM bestehen aus verschiedenen einzelnen Maßnahmen, die als Paket darauf abzielen, das Wissen sowie die Fähigkeiten und Strategien zur Vermeidung von FEM sowohl bei den Pflegenden als auch den Leitungspersonen zu verbessern. In drei Studien wurden beispielsweise sogenannte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, sprich Mitarbeitende der Einrichtungen, geschult, individuelle Strategien zur Vermeidung von FEM für ihre Einrichtung zu entwickeln und umzusetzen. Die Leitungspersonen der Pflegeheime sollten die Vermeidung von FEM und die Mitarbeitenden unterstützen, z. B. durch Entlastung von anderen Tätigkeiten, damit diese ausreichend Zeit für ihre Aufgaben hatten.

Das wichtigste Ergebnis des Reviews: Solche Interventionen können die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohnern mit FEM in Pflegeheimen wahrscheinlich um 14 % reduzieren. Die Zahl der Stürze oder schweren Verletzungen durch Stürze blieb dabei in den Studien insgesamt unverändert. Auch die Verordnung von sedierenden Medikamenten, die manchmal anstelle von FEM eingesetzt werden, erhöhte sich nicht. Außerdem gab es keine Hinweise auf unerwünschte Wirkungen der Programme. Auf Basis der Studiendaten berechnete das Autorenteam, dass die Anzahl der Personen mit FEM bei der Umsetzung dieser Interventionen von 274 auf 236 je 1.000 Personen reduziert werden kann. Der Fokus auf Veränderungen auf Organisationsebene ist vermutlich wichtig, um einen nachhaltigen Nutzen bei der Vermeidung von FEM zu erreichen. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wurde in der Untersuchung als recht gut eingestuft (nach der international etablierten GRADE-Systematik „moderat“, der zweithöchsten von insgesamt vier Stufen).

Sechs Studien untersuchten Schulungsprogramme, die das Wissen und die Haltungen bezüglich der Anwendung von FEM adressieren, aber nicht durch weitere Maßnahmen ergänzt wurden. Die Ergebnisse dieser Studien waren widersprüchlich und einzelne Studien wiesen methodische Limitierungen auf. Daher lässt sich auf Basis der Studienergebnisse nicht sagen, ob solche Schulungsprogramme den Einsatz von FEM reduzieren können.

„Die Ergebnisse dieses Reviews zeigen, dass freiheitsentziehende Maßnahme in Pflegeheimen reduziert werden können, ohne dass die Zahl der Stürze oder sturzbedingten Verletzungen ansteigt. Auch gab es in den ausgewerteten Studien keine Hinweise, dass stattdessen häufiger sedierende Medikamente verordnet wurden“, sagt Erstautor Ralph Möhler. „Allerdings reichen Schulungen des Personals alleine vermutlich nicht aus, eine entscheidende Rolle spielt die Unterstützung der Leitungskräfte.“

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Kategorie/n: Medizinische Fakultät, Schlagzeilen, Pressemeldungen, Auch in Englisch
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