Dr. Thomas Muth
"Zu einer guten Lehre gehört auch, dass die Studierenden erkennen, was sie davon haben."
Dr. Thomas Muth vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin koordiniert den Studienblock "Mensch und Umwelt". Die Studierenden nominierten ihn sowohl für seine Rolle als Blockkoordinator als auch für sein Seminar "Lärm am Arbeitsplatz": "Dr. Muth leitet nicht nur die Lehre dieses Blockes gut an, sondern ist selbst ein herausragender Dozent - das Seminar im Präsenzunterricht hat einen enormen Wissenszuwachs erbracht, war interessant gestaltet und hat uns viel Spaß gemacht". Insbesondere schätzen sie seine Fähigkeiten als strukturierter Organisator und Vermittler zwischen Dozierenden und Studierenden. Aber auch mit seiner Lehre kann er überzeugen. Im Nominierungsantrag erklären die Studierenden: "Man merkt, dass ihm die Lehre wirklich am Herzen liegt. Er gibt immer 110 %!"
Sie sind ja sowohl für Ihre Rolle als Blockkoordinator als auch für Ihr Seminar „Lärm am Arbeitsplatz“ nominiert worden. Worum geht es denn in diesem Seminar konkret?
Es geht eigentlich ganz banal um das Thema Lärm am Arbeitsplatz, also darum, welche physischen Gefährdungen für das Gehör es am Arbeitsplatz gibt. Es gibt ja viele Menschen, die an lauten Arbeitsplätzen arbeiten. Das betrifft zum Beispiel Menschen, die auf dem Bau arbeiten oder in der Industrie. Und der andere Aspekt ist – und das ist vielleicht das Spannende – dass eben unsere Ohren auch betroffen sind. Die Erkenntnisse, die man zur Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit hat, zu übertragen auf unser Gehör und unseren Umgang mit Lärmbelastung, das ist ganz wichtig. Und möglicherweise finden die Studierenden das spannend, das würde mich freuen!
Was ist das Besondere an Ihrem Lehrformat?
Vielleicht der Versuch, die Themen an die Studierenden heranzutransportieren und zu sagen: „Guckt mal, das ist euer Anteil daran, hier seid ihr auch gemeint und ihr auch betroffen“. Das versuchen wir umzusetzen und zu nutzen. Ich könnte mir vorstellen, dass es dadurch eher greifbar wird. Ich glaube, wenn man selber das Gefühl bekommt „Mensch, da bin ich ja auch gemeint“, schafft das noch mal eine andere Bedeutung und eine andere Beziehung zum Thema.
Während der Corona-Pandemie mussten viele Präsenz-Lehrformate digitalisiert werden. Wie war das für Sie?
Wir haben versucht, es zu kompensieren und umzuschalten auf Online-Lehre, Wir waren am Anfang natürlich überrascht von der Situation und darauf nicht vorbereitet, wie wahrscheinlich viele andere auch. Heute sind uns ja viele Dinge selbstverständlich – MS Teams Meeting, Webex-Konferenzen, das war mir damals neu. Wir sind da ins kalte Wasser geschmissen worden, das war ganz spannend und ganz aufregend. Wir haben dann versucht, Lösungen zu finden. Die waren am Anfang sicherlich unbeholfen. Aber ich habe in der Online-Zeit die Erfahrung gemacht, dass viel mehr Leute zuhören und viel mehr Leute mitmachen. In unseren Vorlesungen sind immer etwa 90 Studierende. Früher waren da je nach Thema, mal 50, aber auch mal nur 15 oder 8 Leute. Und jetzt bei den Online-Formaten sind es wirklich immer die Hälfte bis zweidrittel der Studierenden, die regelmäßig dabei sind. Das ist eine tolle Sache!
Und jetzt haben wir eine ganz schwierige Phase. Wir wollen eigentlich gerne in die Präsenz zurück, aber jetzt könnten wir die Erfahrungen, die wir im digitalen Bereich gesammelt haben, nutzen. Die Frage ist, was nehmen wir mit uns was übertragen wir in die Zukunft? Das finde ich ganz spannend und interessant
Was möchten Sie persönlich aus der Corona-Zeit für Ihre Lehre mitnehmen?
Was ich prima finde, ist die Möglichkeit, einen halb-persönlichen Kontakt zu schaffen. Man kann schnell mal die Studierenden zusammentrommeln und sagen: „Ich biete jetzt eine Sprechstunde an“. Keiner muss in die S-Bahn oder ins Auto steigen und 80km fahren, sondern man kann sich einfach mal eine halbe Stunde zusammenschalten. Das ist eine Art von spontanem, niederschwelligem Kontakt, den man zuvor nicht hatte
Haben sie konkrete Ideen, wie die Zukunft der Lehre aussehen könnte?
Eine konkrete Vision oder Phantasie, wie die neue Digital-Präsenz-Kombination aussehen könnte, habe ich nicht. Aber ich bin ganz offen für neue Entwicklungen.
Wo sehen Sie besondere Herausforderungen in der Lehre?
Ich finde, der Stellenwert der Lehre ist nicht adäquat. In diesem ständigen Bemühen um Exzellenz, um herausragende Forschung, vielleicht auch um herausragende klinische Versorgung, fällt oft die Lehre ein Stück weit hinten rüber. Ich denke, dass man viele Dinge besser machen könnte, wenn man die Lehre nicht nur proforma als eine von drei Säulen der Universität sieht, sondern das wirklich leben würde und die Lehre auch über solche tollen Dinge wie den Lehrpreis hinaus honorieren würde.
Die Lehre insgesamt, für die Institute und für die Kliniken, wichtiger zu machen, und die Lehre für die Klinikleitungen zu einem nennenswerten Standbein ihrer Aktivitäten zu machen, statt das Gefühl zu haben, dass die Lehre sie in Ihrem Klinikalltag behindert, das fänd‘ ich richtig gut! Ich glaube, das ist in der Medizinischen Fakultät besonders schwierig, weil zur Forschung die Klinik dazu kommt. Diese etwas untergeordnete Rolle der Lehre ist aber tatsächlich etwas, was es immer ein bisschen schwierig macht.
Was macht für Sie gute Lehre aus?
Wir wollen die Studierenden natürlich schlauer machen, wir wollen die Studierenden kompetenter machen und wir wollen, dass die Studierenden gute Ärztinnen und Ärzte werden. Ich finde, zu einer guten Lehre gehört aber auch, dass die Studierenden erkennen, was sie davon haben. Ich finde das toll, wenn die Lehrenden sich Mühe geben, dass die Lernenden tatsächlich mittragen, was sie lernen sollen und auch lernen wollen. Ich finde es wichtig, dass es eine gewisse Wertschätzung den Studierenden gegenüber gibt. Wir Lehrende sollten begreifen, dass es eine unserer Hauptaufgaben ist, die Anliegen der Studierenden ernst zu nehmen und dass die Kommunikation auf Augenhöhe läuft. Die Studierenden sind keine Bittsteller, sie machen uns keine Arbeit, die Studierenden sind unsere Arbeit!
Ob man dann Folien hat, die gut zu lesen sind, ob man klar und deutlich spricht, ob man eine unterhaltsame Vorlesung macht, das ist dann vielleicht ein bisschen weniger wichtig. Ich glaube, an erster Stelle ist wichtig, dass man nicht nur die Didaktik im Auge hat, sondern auch die Lernatmosphäre
Und wie schaffen Sie persönlich eine gute Lernatmosphäre?
Ich habe da keine formale Strategie. Manchmal gibt es im Winter morgens um 8 Uhr Schokolade, wenn die Studierenden kommen, aber das ist ja in den digitalen Seminaren nicht so richtig zu realisieren gewesen.
Wir sind ja immer auf einer sehr schmalen Gratwanderung zwischen Entertainment und Ausbildungszielen. Ich glaube, wenn wir nur danach gucken, ob die Studierenden sich gut unterhalten fühlen, dann ist das falsch, aber ich glaube, wenn wir auch darauf gucken, dass es den Studierenden ein bisschen Spaß macht, dann ist das auf jeden Fall eine vernünftige Strategie.
Wirklich wichtig ist es mir, die Anliegen der Studierenden ernst zu nehmen, immer ein offenes Ohr zu haben und ansprechbar zu sein. Und eben die Studierenden nicht alleine zu lassen. Klar, sie müssen alleine lernen, aber den organisatorischen Aufwand müssen sie nicht alleine bewältigen.
Wie haben Sie denn reagiert, als Sie von dieser Nominierung erfahren haben?
Ich habe mich gefreut und natürlich war ich auch überrascht. Es ist ja nicht selbstverständlich, wenn die Lehre, die man macht auch bei denjenigen, für die es gedacht ist, gut ankommt. Und über diese Form der Rückmeldung und Wertschätzung freut man sich natürlich, klar!
Heben sie schon Pläne, wofür sie das Preisgeld einsetzen würden?
Ich würde gerne digitale Lernmaterialien erstellen. Es gibt die Möglichkeit, Betriebe zu besichtigen. Das war uns immer ganz wichtig, weil die Studierenden immer die Gelegenheit hatten, Arbeitsumwelten kennenzulernen und selber zu erfahren. Das ist mit dem Modellstudiengang ein bisschen schwierig geworden, weil die zeitlichen Möglichkeiten eingeschränkter sind und wir suchen seit langem nach einer Alternative. Durch den technischen Fortschritt gibt es jetzt die Möglichkeit, solche Betriebsbegehungen virtuell zu machen, indem man 3D-Aufnahmen erstellt, die man möglicherweise mit VR Brillen kombinieren kann. Als Studierende:r kann man sich dann wirklich in dem Setting bewegen, das könnte ein toller Ersatz sein. In die Digitalisierung zu investieren und Lernmaterialen zu erstellen, die tatsächlich sinnvoll nutzbar wären für die Studierenden, das fände ich richtig gut!
Was möchten Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg geben?
Wir beschäftigen uns in der Arbeitsmedizin mit Arbeit und Gesundheit. Es gibt ja diesen Begriff der Selbstkompetenz im Modellstudiengang und ich glaube für die Studierenden ist es ganz wichtig, auf sich selbst zu achten.
Nachdem dieses Studium ja wahrscheinlich schon für die allermeisten kein Zuckerschlecken ist, ist es wirklich ganz wichtig, zu gucken, dass ich selber gesund bleibe, Freude an der Arbeit habe zu erkennen, wo es für mich ungesund wird. Also der Moment, wo ich tatsächlich die Reißleine ziehen muss und wo ich sagen muss „das liegt jetzt nicht an mir, das liegt jetzt an den Bedingungen und daran muss ich tatsächlich etwas ändern.“ Da würde ich den Studierenden gerne gerade im Bereich Medizin den Rücken stärken. Wenn ich mir vorstelle, ich komme aus dem Medizinstudium, bin Mitte 20 und muss dann 40 Jahre, 42 Jahre, 43 Jahre im Berufsleben gesund sein und leistungsfähig sein, das ist, glaube ich, gerade in diesem Bereich eine Herausforderung. Da fände ich es gut, wenn es uns in der Arbeitsmedizin gelingt, die Studierenden ein Stückchen zu unterstützen.