Stress im Studium, Angst vor der Prüfung, private Probleme: So etwas kann jede:n betreffen und sich negativ auf das psychische Wohlbefinden auswirken. Medizinstudierende, die sich niedrigschwellig Hilfe holen wollen oder einfach ein offenes Ohr brauchen, sind bei MediPeer richtig. Hinter dem studentischen Beratungsangebot stecken Luis Phillip Brehmer und Lena Frye. Wir haben sie unter anderem gefragt, was ihnen bei ihrer Arbeit bei MediPeer wichtig ist und ob sie bei Beratungen auch eigene Erfahrungen einfließen lassen.
Was ist MediPeer?
Lena: Ein Peer-Beratungsangebot von Studierenden für Studierende. Wir wollen eine niedrigschwellige und offene Anlaufstelle sein.
Luis: Wir haben uns vor allem die mentale Gesundheit auf die Fahnen geschrieben. Diese beinhaltet ja viele Aspekte – das kann Einsamkeit sein, wenn man neu hierhergezogen ist, oder Stress und Zweifel in Bezug auf das Studium. Vielleicht aber auch, wenn man sich belastet fühlt, durch Dinge, die man in der Klinik oder im Präpkurs sieht. Wir bieten einen vertraulichen Rahmen und freuen uns, wenn Studierende mit allem, was ihnen auf dem Herzen liegt, zu uns kommen.
Lena: Wir machen da keine Einschränkungen und das ist uns auch wichtig. Je nach Problemstellung können wir auch an andere Stellen weitervermitteln – sowohl in Bezug auf die mentale Gesundheit, aber auch, wenn es zum Beispiel die Studienorganisation oder ein anderes formales Thema betrifft. Man muss keine Angst haben, von uns abgewiesen oder nicht ernst genommen zu werden. Bei uns kann man einfach alles, was gerade belastend für einen ist, rauslassen und besprechen.
Wie lange gibt es MediPeer bereits und mit wem arbeitet ihr zusammen?
Luis: MediPeer gibt es seit etwa zwei Jahren und wir sind angestellt im Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin. Zudem kooperieren wir auch mit dem Institut für psychosomatische Medizin. Dort haben wir eine Schulung bekommen und unter anderem gelernt, welche „Red Flags“ es gibt, also welche Warnsignale, bei denen wir anerkennen müssen, dass wir da nicht weiterhelfen können. Denn wir sind keine Therapeut:innen. Zudem haben wir in der Schulung erfahren, wie man einen Therapieplatz sucht und findet. Wir arbeiten eng mit den beiden Instituten zusammen, damit das Angebot ärztlich und seitens Lehrender begleitet werden kann. Wir sammeln außerdem das grobe Thema des Gesprächs- oder Beratungsanlasses. Wenn es in Arbeitsgruppen, in denen wir sind, um das Thema mentale Gesundheit geht, können wir beispielsweise zusammenfassen, aus welchen Themenblöcken sich viele Studierende gemeldet haben oder ob es ein Thema gibt, dass gerade viele beschäftigt. Diese Zusammenarbeit ist sehr wertvoll für uns.
Lena: Es ist uns sehr wichtig zu betonen, dass wir niemals mit Professor:innen oder anderen über einzelne Gespräche reden. Eventuell leiten wir grobe Themen weiter, aber wir geben niemals Informationen weiter, mit denen einzelne Personen zurückverfolgt werden könnten. Wir werden supervidiert und unterstützt, aber was bei uns gesagt wird, bleibt auch bei uns. Die Zusammenarbeit mit den Hilfesuchenden bleibt komplett unter uns. Anonymität ist immer gegeben!
Haben sich durch eure Arbeit bereits strukturelle Änderungen ergeben?
Luis: Die Initiative, aus der MediPeer auch hervorgegangen ist, hat bereits diverse Änderungen bewirkt. Zum Beispiel, dass man sich relativ kurzfristig von Prüfungen abmelden kann, ohne einen Grund dafür angeben zu müssen. Außerdem haben wir beispielsweise einen Austauschabend zum Thema Resilienz in der O.A.S.E. veranstaltet.
Lena: Was sind eigentlich Bedingungen, die belastend für die Studierenden sind? Das war unsere anfängliche Fragestellung und dies fragen wir uns weiterhin grundsätzlich. Wenn man sich zum Beispiel nicht ohne Grund von Prüfungen abmelden kann, suggeriert das ja: Du musst durchziehen. Das hat den Leistungsdruck verstärkt. Jetzt kann man sich bis zu 14 Tage vorher ohne Angabe eines Grundes abmelden und hat dadurch die Freiheit zu sagen, dass es einem gerade einfach nicht passt, warum auch immer. Auch wenn einem das Thema einfach nicht liegt und man lieber später die Prüfung machen möchte. Durch die Arbeit im Projekt MediPeer können wir herauskristallisieren, wo Probleme liegen, die man leicht verändern könnte.
Luis: Aus der Initiative heraus ist auch die Ressourcenkarte entstanden und wir haben diese überarbeitet. Diese liegt den Taschen bei, die die Erstsemester-Studierenden erhalten, und enthält viele Anlaufstellen.
Wie empfindet ihr die Arbeit bei MediPeer persönlich?
Luis: Wir haben sehr viel Freude an unserer Arbeit und schätzen sehr, dass uns so vertraut wird. Denn im ersten Moment sind wir ja Fremde. Ich profitiere auch persönlich von der Arbeit und merke, wie ich an jedem Gespräch wachse.
Lena: Bei vielen Gesprächen lernt man etwas, das man dann beim nächsten Gespräch zu einem ähnlichen Thema wieder umsetzen kann.
Beeinflusst die Arbeit bei MediPeer euer Privatleben und bringt ihr auch eigene Erfahrungen bei den Beratungen mit ein?
Luis: Die Themen, die in den Gesprächen aufkommen, gehen uns natürlich auch an. Im Vorfeld haben wir uns viel dazu ausgetauscht, wie wir in dieser ganzen Sache auf uns achten. Damit das nicht in unser Privatleben überschwappt. Dadurch, dass wir mittlerweile im fünften Studienjahr sind, können wir uns von vielen Themen ganz gut abgrenzen. Da können wir sagen: Die Hürde haben wir schon genommen, aber wir wissen, wie belastend das war oder ist.
Lena: Wir gestalten es flexibel, ob wir unsere eigenen Erfahrungen mit einbringen. Wenn jemand fragt, wie war das denn bei dir, erzählen wir beispielsweise, was uns geholfen hat.
Luis: Lena und ich haben uns über den Medizinerchor kennengelernt und hatten da schon früh Kontakt mit Kommiliton:innen aus allen Studienabschnitten. Da bekamen wir auch Unterstützung und oft hat es bereits geholfen, wenn die eigenen Sorgen validiert wurden. Wenn jemand beispielsweise sagt: „Das war schwer, aber man schafft das und ich habe es auch geschafft.“ Es ist gut, das eigene Erleben in ein Verhältnis zu rücken. Gerade zu Beginn des Studiums können Probleme schnell existenzbedrohend wirken. Man denkt, das ist gerade das Wichtigste im Leben. Und dann hilft es, wenn jemand sagt, da bin ich auch mal durchgefallen. Wir können für die jüngeren Studierenden die Rolle von jemandem übernehmen, der weiter ist und vielleicht mit einem anderen Blick auf die Probleme gucken kann.
Lena: Das ist der Peer-Gedanke dahinter und daher stammt auch unser Name. Wir sind nicht einfach eine Beratungsstelle, sondern auch Kommiliton:innen.
Ihr führt in Zusammenhang mit MediPeer auch einen Instagram-Account. Wie kommt ihr dafür auf eure Themen und Ideen für Beiträge?
Luis: Wir haben mit Instagram angefangen, weil wir MediPeer bekannter machen wollten. Mit Instagram wollten wir mehr Personen erreichen. Schnell war uns klar, dass wir neben der Werbung für unser Angebot auch psychoedukative Inhalte posten möchten. Wir haben dann einerseits Themen aus den Sprechstunden gesammelt, aber auch welche, die wir persönlich wichtig und interessant fanden. Inhalte, die anderen helfen könnten oder die uns schon einmal geholfen haben. Wir schauen beispielsweise auch, was gerade ansteht, zum Beispiel bestimmte Prüfungen oder die vorlesungsfreie Zeit, und greifen dies auf. Häufig denken wir zurück und versuchen Themen zu entstigmatisieren, die wir früher als Schwäche empfunden haben. Wir haben zum Beispiel im ersten Studienjahr Weihnachten nicht wirklich mitgefeiert und haben dann vor den Winterferien einen Beitrag dazu gemacht, dass man in der freien Zeit auch einfach nichts tun kann.
Lena: Wir versuchen psychoedukative Inhalte auch mit Beispielen zu verknüpfen, die wir im Medizinstudium gelernt haben. So haben wir zum Beispiel etwas zur Sympathikus-Reaktion und Prüfungsangst gemacht, bezogen auf einen konkreten Anlass. Wir möchten die Gefühle somit validieren und zeigen, dass niemand alleine mit seinen Problemen ist.
Wir wollen mit Instagram auch Menschen erreichen, die gerade kein akutes Problem haben, aber einfach beim Durchscrollen unserer Posts einen Aspekt sehen, der ihnen vielleicht hilft. Und wir stellen auch Beratungsangebote und Anlaufstellen vor.
Luis: Unser Instagram-Account ist eine relativ bunte Mischung, würde ich sagen. Wir möchten dazu beitragen, eine Kultur zu etablieren, in der gesehen wird, dass es hinter den Noten und den Leistungen auch einen Menschen gibt, der zwischenzeitlich vielleicht nicht alles gut im Griff hat.
Wie seid ihr persönlich dazu gekommen, Medizin zu studieren?
Lena: Ich wollte immer Psychologie studieren. Mich hat immer interessiert, warum wir sind, wie wir sind. Bei einer Probewoche vor dem Studium habe ich gemerkt, dass ich vor allem die biologischen Aspekte interessant fand. Ich wollte zudem gerne mit Menschen arbeiten, weshalb ich die Neurowissenschaften ausgeschlossen habe. Daraufhin habe ich mich für die Medizin entschieden und wollte ursprünglich auf jeden Fall in die Neurologie oder Psychiatrie gehen. Mittlerweile möchte ich aber in die Anästhesie gehen.
Luis: Ich wollte eigentlich Sprachen studieren. Leider kam unser Französisch-Leistungskurs nicht zustande und ich musste in den Bio-Leistungskurs wechseln, wo ich aber gemerkt habe, dass mich alles rund um den Menschen – Genetik und die Neurowissenschaften – sehr interessiert hat. Deshalb wollte ich Medizin studieren und bin mit dem Wunsch ins Studium gestartet, Kinder- und Jugendpsychiater zu werden. Das hat sich auch noch einmal ein bisschen verschoben, jetzt möchte ich Kinderarzt werden. Ich schließe es aber nicht aus, dass ich irgendwann noch den Facharzt für Psychiatrie gerne machen würde. Deswegen ist der Zusammenhang von Körper und Psyche für mich weiterhin von großem Interesse.
Weitere Informationen auf der Webseite von MediPeer.
Fotos: Studiendekanat Medizin / Melanie Schrumpf